Auf eine Reise durch Herr Bürlis Jahr! Du erfährst, an welchen Projekten ich gearbeitet habe, warum gemeinsam mehr kann als alleinsam, warum ich ein Buchprojekt gestartet habe – und natürlich wie jedes Jahr meinen Umsatz.

Zu Beginn des Jahres 2022 nahm ich mir eine Woche Zeit, um mein Geschäft und mein Leben zu reflektieren – bei mir sprudeln die Ideen jeweils in der Ruhe. Diesmal wollte ich es mit einem Kollegen spiegeln, und traf deshalb meinen langjährigen Coworking-Komplizen Marco Jakob zu einem Kaffee. Nach einem längeren Gespräch fragte er mich, wie ich in Zukunft mit Wachstum umgehen wolle. Da traf er einen wunden Punkt bei mir – je länger, je mehr erhalte ich Auftragsanfragen, die ich aus Kapazitätsgründen ablehnen muss. Die naheliegendste Lösung wäre es ja, Leute anzustellen und eine klassische Agentur aufzubauen, was mich aber gar nicht reizt. Nach längerer Überlegung, wie und mit wem ich in Zukunft gerne arbeiten möchte, kam mir folgender Gedanke: Anstatt mich als Firma aufzublähen, lasse ich mein Umfeld wachsen. Also traf ich den Entschluss, keine Aufträge mehr alleine anzunehmen, oder anders gesagt, immer nach einer Zusammenarbeit mit Kolleg:innen zu streben. Das bedeutet zwar, dass der Auftragskuchen durch alle Mitwirkenden geteilt wird und der Koordinationsaufwand ansteigt, aber eben auch, dass viel mehr möglich ist. Und es macht mehr Spass!

Beflügelnde gemeinsamständige Projekte

Diesen Entschluss zog ich das ganze Jahr über durch. Es ergaben sich spannende Kollaborationen mit Menschen aus meinem Netzwerk, mit einer grossen Palette an Aufträgen, die vom Branding für Start-ups, über Research und Design für digitale Plattformen bis hin zu Community und Kulturentwicklung für Organisationen reichte.

Meine Kollegin Fabienne Stoll und ich haben zum Beispiel die weltweit-tätige Adval Tech Gruppe bei ihrem Web-Relaunch begleitet. Bei einem Projekt dieser Grösse war es für uns wichtig, die kritischen Fragen gleich zu Beginn zu thematisieren: Budget, Ziele, User, Technologie, Ressourcen, Vorgehen, Webpartner. Mit Workshops, Stakeholder Research, Bedürfnisanalysen und einer eigens entwickelten Methode – dem Framebook – konnten wir gemeinsam Klarheit darüber gewinnen, was die Website leisten soll und wie AdvalTech dorthin kommt. Auch den passenden Webpartner konnten wir evaluieren. Es war eindrucksvoll mitzuerleben, wie unterschiedlich sich die Webagenturen präsentierten. Zuspruch bekam übrigens nicht die günstigste Agentur, sondern die, die am besten auf die Bedürfnisse von Adval Tech eingehen konnte.

Zusammen mit der Schweizerischen Post haben Stefan Niederhauser, Raffael Krebs und ich eine Plattform mit dem Namen «LocalOnly» mitentwickelt, die es lokalen Lebensmittelbetrieben ermöglicht, ihre Produkte kostengünstig über das Logistiknetz der Post zu vertreiben. Ein vielschichtiges Projekt, in dem es neben Branding, Design und Technologie auch um das Ausbalancieren der Bedürfnisse der verschiedenen Stakeholder und den operativen Prozesse ging. Customer Research war von Anfang an ein integraler Bestandteil. Für die sprachliche und kommunikative Raffinesse holten wir uns die UX Writerin Jrene Rolli und für die ansprechende Bildwelt die Illustratorin Claudine Etter dazu.

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Auch dieses Jahr half ich bei Innovationsprojekten aus, wo es darum ging, Geschäftsmodelle rasch am Markt zu validieren – beispielsweise zusammen mit Superloop Innovation für die Stadt Bern. Diese kurzen tageweisen Einsätze, in denen wir sehr rasch Prototypen von Produkten bauen, fühlen sich für mich immer wie Training an: In Windeseile ein neues Thema erfassen, designen und testen. Für mich eine tolle Abwechslung in meinem sonstigen Alltag.

Mitte Jahr erreichte mich eine Anfrage eines ÖV-Anbieters. Der Auftrag klang interessant, jedoch versende ich per se nie eine Offerte ohne Gespräch. Das hat damit zu tun, dass ich das Projekt und seinen Kontext verstehen muss – und das gelingt nur in einem Gespräch. Zudem ist für mich der Beziehungsaspekt essenziell. Stimmt die Chemie? Ist eine gemeinsame Wertebasis vorhanden? Die Projektleiterin zeigte sich offen für ein Treffen, und nach einem sehr guten Gespräch und der anschliessenden Offerte kam der Auftrag zustande. Für dieses Projekt holte ich Dave Eggimann an Bord. Mehr dazu im neuen Jahr.

Zu den diesjährigen Kund:innen zählten auch ein Medtech Start-up, ein Coworking Space, ein Uhrwerkhersteller, wie letztes Jahr schon der König der Käse (Emmentaler) und weitere. Ein bunter Mix, so wie ich es liebe! Zugleich haben alle Aufträge auch ein gemeinsames Thema: Es geht um Anschlussfähigkeit von Unternehmen – gegenüber dem Markt, der Kundschaft, den Mitarbeitenden. Oder anders gesagt: Wie gelingt es, einen Begegnungsraum aufzubauen, in dem sich die verschiedenen Akteure näherkommen, interagieren und handeln können?

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Gründung UserResearch

Das bringt mich zu einem weiteren freudigen Thema – der Gründung von «UserResearch». Anicia Kohler, Fabienne Stoll, Jrene Rolli und ich bündeln unser Research-Know-How und bieten es als Dienstleistung an. Einerseits geht es um klassisches User Research, wo wir Produkte, Apps und Systeme auf ihre Nützlichkeit hin testen. Andererseits helfen wir auch dabei, die Bedürfnisse von Kundschaft oder Mitarbeitenden zu eruieren. Beispielsweise haben wir ein Kraftwerk bei der Frage unterstützt, wie die Attraktivität als Arbeitgeber gesteigert werden könnte.

Als Researcher:innen übernehmen wir gewissermassen die Rolle von Babyphones. Wir machen Bedürfnisse, Ängste und Wünsche von Menschengruppen hör- und sichtbar, damit Unternehmen eine solide Entscheidungsgrundlage erhalten. Wir haben auch damit begonnen, Unternehmen direkt anzusprechen und zum Kaffee einzuladen, wenn wir beispielsweise auf ein konkretes Nutzer:innen-Problem stossen. Dafür sind viele Firmen erstaunlich offen. Bei einem kürzlichen Gespräch mit einer Institution fiel am Schluss die Bemerkung, dass sie einen Sales Pitch erwartet hätten und nun sehr positiv überrascht seien vom spannenden Austausch mit uns. Das hat uns sehr gefreut.

Dachte, das wird eine Sales Veranstaltung, aber das war jetzt echt ein super spannender und sympathischer Austausch auf Augenhöhe.

Kundenstimme

Heimat Effinger

Ohne den Effinger Coworking Space wären viele Projekte erst gar nicht möglich. Das Umfeld aus verschiedenen Menschen mit einem Universum an Themen liefert viel Inspiration. Seit sechs Jahren zähle ich die Community zu meinem beruflichen Zuhause. Auch dieses Jahr hat sich im Space einiges entwickelt. Die grösste Veränderung war die Entscheidung, das zweite Stockwerk – eine renovierte Altbauwohnung – dazuzumieten.  Wir erstellten einen Businessplan und ein Nutzungskonzept und steckten als Community viel Herzblut in das Projekt. Wir nennen den neuen Stock «Stadtwohnig» – eine Wohnung mitten im Herzen von Bern. Die neuen Räumlichkeiten erlauben es uns, zusätzlich Veranstaltungen wie Meet-ups, Yoga, Konzerte, Ausstellungen und Spieleabende anzubieten. Mit dem kulturellen Angebot schaffen wir einen Ort, der auch für Leute interessant ist, die nicht als Coworker:innen bei uns tätig sind. Auch die Brownbags möchte ich in Zukunft dort veranstalten, da diese Wohnzimmeratmosphäre gut passen könnte. Neu haben wir zudem eine Kochgruppe gestartet, die ohne Entgeltung funktioniert. Den Kontakt zu anderen Coworking Spaces haben wir intensiviert, indem wir zum ersten Mal eine Corelated Tour durchführten. So besuchten wir Spaces wie den Hirschengraben in Luzern und das Zoffice in Zofingen.

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Zweimonatige Auszeit und Buchprojekt

Ein beständiger Mythos über Unternehmer:innen lautet, sie hätten praktisch keine Ferien. Ich halte das für eine Mär, die sich vor allem im Kopf abspielt. Denn gerade Unternehmer:innen haben einen grösseren Spielraum, bewusste Entscheidungen zu treffen. Im Jahr meiner Firmengründung hatte ich mir einen dreimonatigen Vaterschaftsurlaub genommen. Damals gab es Leute, die mir davon abrieten, doch meine Firma fiel trotz Auszeit nicht zusammen. Deshalb fühlte es sich dieses Jahr fast wie eine Gewohnheit an: Zwei Monate Auszeit mit Aufenthalt an der Ostsee. Der Beweggrund dafür waren zwei Ideen, die zusammenkamen: Einerseits wollten wir als Familie wieder einmal einen Tapetenwechsel und träumten von der Ostsee. Andererseits hatte ich seit Jahren die Idee, ein Buch zu schreiben, fand aber im Alltag zu wenig Ruhe dafür. Die Auszeit würde es mir ermöglichen, konzentriert daran arbeiten zu können.

So schloss ich Herr Bürli von September bis Oktober – alle meine Aufträge und Kund:innen in den guten Händen meiner Kolleg:innen – und wir reisten als Familie an die Ostsee. Wir liessen uns in einem kleinen Dorf nieder. In einem Dachkämmerchen richtete ich mir meine Schreibwerkstatt ein. Fürs Schreiben wählte ich eine 24-Stunden Woche – Mittwoch und Wochendende frei. So blieb auch genügend Zeit für Ausflüge und entspannende Momente am Strand. Gefühlte tausend Sandburgen habe ich mit Herr Bürli Junior gebaut! Die Ostsee hat mit ihren Dünen, der rauen See und Leuchttürmen ihren ganz eigenen Charme.

Über den Prozess des Buches führte (und führe) ich einen Newsletter, um alle Interessierten mit auf die Reise zu nehmen. Neben dem Schreiben zählen Recherche und Gespräche mit Expert:innen zum grössten Teil der Arbeit. Es hat mir sehr gefallen, während Wochen konzentriert an einem Projekt zu arbeiten – statt wie sonst an mehreren parallel. Das Buch handelt von Community Brands. Damit sind Marken gemeint, die bottom-up entstehen, und die durch ihre Beziehungskraft klassisch-kommerzielle Brands ganz schön alt aussehen lassen. Community Brands sind für mich ein noch mehrheitlich unbekanntes Phänomen. Doch sie haben es faustdick hinter den Ohren: Sie gehen gesellschaftliche Herausforderungen experimentell an und entwickeln Lösungen. Sei es in Sachen Bildung, Ernährung oder Wohnen – in praktisch allen Lebensbereichen. Im Buch begleite ich nicht nur Community Brands, sondern sammle auch Zutaten und Werkzeuge, um Menschen in Communities zu unterstützen. Der Inhalt steht zu 90%. Nun geht es darum, noch anzureichern, zu redigieren und Illustrationen zu erstellen. Kurz: Es liegt noch viel Arbeit vor mir.

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Zahlen und Finanzen

Gerne gebe ich auch einen Einblick, wie das Jahr finanziell für mich lief. Ich mache dies seit dem Start meiner Selbständigkeit und werde immer wieder darauf angesprochen. Einerseits möchte ich die Diskussion über Geld enttabuisieren, andererseits auch zeigen, dass Unternehmertum sich auf mehreren Ebenen – auch finanziell – lohnen kann. Zu Beginn des Jahres hatte ich mich gefragt, was meine Entscheidung mit den gemeinsamen Aufträgen und meiner Auszeit für finanzielle Auswirkungen haben könnten. Umso mehr bin ich über meinen Jahresumsatz erstaunt: ca. CHF 175’000. Das ergibt im Vergleich zum Vorjahr nochmals eine zünftige Steigerung von +40%. Ein Grund für die Zunahme ist, dass ich einige Projekte über mich abrechne und anschliessend meine Kolleg:innen auszahle. Andererseits hatte ich eine konstante Auslastung mit tollen Projekten. Ein paar weitere Zahlen:
45 Rechnungen gestellt
18 Unternehmen oder Institutionen bedient
19 Bücher gelesen
16% der Zeit für Workshops verwendet (14% für Meetings)
280h für Buchprojekt gearbeitet
7 Aufträge abgelehnt (und 2 Aufträge nicht erhalten)

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Ausblick ins neue Jahr

Auch dieses Geschäftsjahr endete wieder mit einer schönen Weihnachtsfeier mit meinen Mitstreiter:innen. Das Jahr hat mich darin bestärkt, die Idee des gemeinsamen Wirtschaftens weiter zu verfolgen. Wie sich das Wachstum in meinem Umfeld manifestieren wird, werde ich weiter gespannt beobachten. Wachstum wird für mich dann interessant, wenn es auf einer qualitativen Ebene geschieht: In Beziehungen, Wissen, Erfahrungen und gemeinsamen Projekten. Wachstum ist für mich eng mit Teilen verbunden. Gerade in der Natur ist Wachstum en masse vorhanden. Jedoch geschieht es in zyklischen Prozessen, wo Dinge auch wieder vergehen. In der Wirtschaft beobachte ich, wie der Umgang mit Wachstum bei Unternehmen oft schon im Organisationsmodell verankert ist (z.B. Aktiengesellschaft und Shareholder Value). Da sehe ich vielversprechende neue Modelle wie beispielsweise «Unternehmen in Verantwortungseigentum». Durch ein Lock-In von Profit im Unternehmen können Spekulationen verhindert und Gemeinnützigkeit gefördert werden. Das Thema wird mich sicher noch weiter begleiten und ich bin mir sicher, ich kratze erst an der Oberfläche.

Auch ein anderes Thema holt mich langsam ein: Bildung! Dieses Jahr habe ich als externer Experte Studierende im Studiengang HF Interaction Design begleitet. Zudem wurde ich auch für Lectures an Fachhochschulen eingeladen. Menschen in die Welt von UX einzuführen, bereitet mir grosse Freude. Auch auf Social Media habe ich unzählige Posts mit kleinen Wissenshäppchen gepostet oder kleine Videos gedreht. Ich muss noch ausloten, welches Mass mir punkto Bildung zusagt, damit es neben den Projekten gut Platz hat. Weiter zeichnet sich eine spannende Kollaboration mit einem Community Brand ab. Mit UserResearch freue mich auf spannende Research Aufträge – und wenn alles klappt, veröffentliche ich mein Buch…

Viel Inspiration wünsch ich dir,
Herr Bürli