Auf fünf intensive Jahre darf ich seit der Gründung von Herrn Bürli zurückblicken. Höchste Zeit, nicht nur das Jahr 2023 mit all seinen Überraschungen zu reflektieren, sondern auch zu erkunden, wie viel von den anfänglichen Vorstellungen noch überlebt haben. Ein Jahresbericht zu Haltung, Bildung, Aufträgen, Buchprojekt und – wie jedes Jahr – meinem Umsatz.
Kürzlich hat mir mein bärtiger Kollege Bruno Jost ein Buch vom noch bärtigeren Rick Rubin geschenkt. Der bekannte Musikproduzent hat ein philosophisch-poetisches Buch über Kreativität geschrieben («The Creative Act»). Rubin ist eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Auf der einen Seite stehen Weltstars wie «Red Hot Chili Peppers» und «Adele» Schlange, um bei ihm ihr Album zu produzieren. Auf der anderen Seite sagt Rubin von sich, dass er nichts von Musik versteht, weder ein Instrument richtig spielt, noch technische Fähigkeiten besitzt. Ein Reporter fragte ihn mal ahnungslos, wofür er eigentlich bezahlt werde.
Was Menschen in Projekte einbringen, lässt sich nicht immer in Worte fassen. Dennoch bringen sie einen Wert ein. Was das genau ist, fällt erst auf, wenn die Person nicht mehr dabei ist. Neben den offensichtlichen Qualitäten sind es eben oft auch Talente, die schwierig zu beschreiben sind. Von Zeit zu Zeit stelle ich mir die Frage, welchen Wert ich eigentlich in Projekte einbringe und wofür ich dabei bezahlt werde.
Für diesen fünften Jahresbericht versuche ich, Antworten darauf zu finden. Ich habe mir dazu etwas aus dem Firmenarchiv geholt – respektive von meiner Website. Bei meiner Gründung habe ich neun Punkte verfasst, die mich als Firma ausmachen. Ich habe es damals «Herr Bürlis Haltung» genannt. Kürzlich sind mir diese neun Punkte wieder in den Sinn gekommen, und ich habe realisiert, dass ich sie beinahe vergessen hätte. Nun interessiert mich, was davon noch relevant und wertvoll ist in meinem Geschäftsalltag. Ich habe mir vier Punkte herausgepickt, aus deren Perspektive ich auf mein Jahr blicken werde. Schauen wir mal, was dabei herauskommt.
Befähigen
«Unzählige Menschen haben es mir ermöglicht, mein Wissen zu vertiefen. Ich bin dafür sehr dankbar und möchte es ihnen deshalb gleichtun. Damit stärke ich mein Umfeld, so dass auch meine Partner:innen langfristig von mir unabhängig werden.» – Haltung Nr. 2
Als ich vor fünf Jahren über «Befähigen» schrieb, dachte ich vor allem an meine Kundschaft und meine Kolleg:innen im Effinger Coworking Space. Heutzutage frage ich mich noch grundsätzlicher: Was braucht es, damit wir Menschen in unsere Selbstwirksamkeit finden? Wie gelingt es, dass wir uns trauen, unseren Ideen und Visionen zu folgen und vom Reagieren ins Agieren kommen? Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob es sich dabei um einen Lebensmittel-Brand, Studierende, eine Firma für Softwarelösungen, ein Innovationsteam oder eine Geschäftsführerin mit frischem Start-up handelt.
Auch dieses Jahr habe ich ein paar Workshops, Referate und Expertenengagements an Hochschulen wie der Hochschule Luzern, Berner Fachhochschule und Schule für Gestaltung gehalten. Neu co-dozieren mein Kollege Kilian Sonnentrücker und ich ein Modul zum Thema «User Interface Design». Über siebzig Studierende haben sich angemeldet – was uns gefreut hat und leicht nervös werden liess. Das Modul von Grund auf zu entwickeln, habe ich definitiv unterschätzt. Mit den Studierenden Nutzungsforschung und Design Prinzipien anzuschauen, Prototypen zu gestalten und Projekte zu pitchen – bereitete mir ordentlich Spass.
Einen Fuss in der Bildung zu fassen, hatte ich eigentlich nicht gesucht. Wie stark ich mich in der Bildung in Zukunft einbringen möchte, muss ich noch herausfinden. Was mich dabei umtreibt, ist die Frage, wie zeitgemäss und nachhaltig die klassischen Bildungsinstitutionen heutzutage noch sind? Wie lernen wir Menschen eigentlich? Gerade in meinem Bereich mit Design, Technologie, Projektmanagement und Organisationsentwicklung lässt sich vieles nur noch in der Praxis erlernen. Wenn ich jeweils mit meinem vierjährigen Sohn spiele und schaue, wie er lernt, indem er mit Kreativität und Neugier aus einer Kartonschachtel ein U-Boot baut, denke ich jeweils, so dürfte das Lernen geschehen – spielerisch, lustvoll und intrinsisch. Mit grossem Interesse verfolge ich neue Lerninitiativen im Effinger wie Colearning.
In Projekten und Mandaten durfte ich starke Marken und Teams begleiten. Zusammen mit meinem Kollegen Dave Eggimann und den lieben Leuten von BERNMOBIL und Glue konnten wir mit dem neuen Libero-Webshop online gehen und grandiose Erfolge feiern. Bei Emmentaler Käse unterstützten meine Kollegin Fabienne Stoll und ich bei einem Research-Projekt. Zusammen mit Bruno Jost halfen wir zudem bei einem Teamentwicklungsprozess. Weitere Firmen und Institutionen waren die Post mit LocalOnly, BEKB, die Stadt Bern und weitere. Ich schätze mich glücklich – und das sage ich jetzt ohne Schönrederei – mit tollen Persönlichkeiten zusammenarbeiten zu dürfen. Es bewährt sich, dass ich bei Anfragen jeweils versuche, die Menschen so gut es geht kennen zu lernen. Erst, wenn es auf beiden Seiten einen «Fit» gibt, begleite ich das Projekt.
Mut
«Chancen eröffnen sich dann, wenn man Neues wagt. Dies bedingt, dass ich meine Komfortzone manchmal verlassen muss. Risiko ist in kleinen Dosen gesund und beflügelnd.» – Haltung Nr. 6
Sich auf Neues einzulassen, daran habe ich mich mittlerweile in meinem Unternehmensalltag gewöhnt. Dennoch kosteten mich gewisse Momente immer wieder Mut. Im Effinger haben wir innerhalb von vier Wochen den ersten «Salon für Zukunftswirtschaft» auf die Beine gestellt. Während der Organisation habe ich mich einige Male gefragt, ob das mit der Kurzfristigkeit eine kluge Entscheidung war. Würden genügend Leute kommen? Würde der Event seinem Namen gerecht werden oder sich einreihen in die Serie langweiliger Cüpli-Events? Mit dem Resultat waren meine Co-Organisator:innen Domenica, Joni, Stefan, Markus, Bruno und ich sehr zufrieden. So fest, dass einer erneuten Durchführung im 2024 nichts im Wege steht.
Mut kostet es mich vor allem dann, wenn ich mich in Projekten wiederfinde, bei denen mir die Materie zu wenig vertraut ist. Als Teil von Urbane Reformer:innen beschäftige ich mich mit partizipativen Entwicklungsprozessen in der Arealentwicklung und gemeinschaftlichem Wohnbau. Als Nutzungsforscher und Branding Spezialist trage ich meinen Teil bei – bin jedoch froh, wenn es dann um Stadtplanung oder Arealentwicklung geht, kompetente Leute wie Isa, Andrea und Matthias an meiner Seite zu wissen. Auf die Projekte mit Urbane Reformer:innen im 2024 bin ich sehr gespannt.
Meinem Buchprojekt zu Community Branding gelingt es ebenfalls, mich aus meiner Komfortzone zu holen. Angefangen dabei, überhaupt ein Buch zu schreiben und davon zu erzählen, bevor es fertig ist. Auch die Frage, wann ich es neben meinen Projekten fertig bringe und wie ich es vermarkten möchte. Es ist eine Achterbahnfahrt, die mich fordert und zugleich energetisiert. Beim Interaction Design Lab wurde ich eingeladen, über das Thema zu sprechen. Um Community Branding in 50 Minuten auf den Punkt zu bringen, musste ich meinen gesamten Hirnschmalz aufwenden. Dennoch hat es mir geholfen, die Storyline zu schärfen. Bald starte ich ein Testlesen mit allen, die Lust haben (bei Interesse im Newsletter eintragen oder mir schreiben). Und falls du ebenfalls ein Buch schreiben möchtest – ich kann es empfehlen! Ich empfinde es als intensive, aber bereichernde Erfahrung.
Empathie
«Ich lerne, das Gegenüber zu verstehen und mich einzufühlen. Nur so kann ich Probleme in der Tiefe verstehen und passende Lösungen kreieren.» – Haltung Nr. 7
In meinem Leben habe ich schon immer lieber Fragen gestellt, als welche beantwortet. In meinem Berufsalltag ist es zu einem wesentlichen Bestandteil geworden, Menschen besser zu verstehen – ob Auftraggeberin oder Konsumenten, Partnerinnen oder Stakeholder. Dabei erlebe ich, wie es für Organisationen – auch im Zeitalter von künstlicher Intelligenz – immer wichtiger wird, dass sie die Bedürfnisse und Lebenskontexte ihrer Kundschaft besser verstehen. Zusammen mit Anicia, Fabienne und Jrene durften wir mit UserResearch eine bunte Palette an Unternehmen begleiten. Ob es nun eine Hilfsorganisation, eine Druckerei oder eine Käsemarke ist – am Anfang steht immer eine Research-Frage. Anschliessend suchen wir mit der Organisation und unseren Methoden die Antwort darauf und liefern damit Entscheidungsgrundlagen für Strategie, Positionierung, Kommunikation, Produktentwicklung oder Arbeitgeberattraktivität. Nach der Gründung von UserResearch letztes Jahr sind wir als Team weiter zusammengewachsen. Neben der Auftragsarbeit tüfteln wir auch an unseren Methoden, unserer Zusammenarbeit und feiern Erfolge, wann immer es geht. Ich schätze es, mit solch smarten und vielseitig begabten Unternehmerinnen die Welt ein bisschen menschenzentrierter und empathischer zu gestalten.
Auch im Effinger Coworking Space, den ich mit über zwanzig Personen mitbetreiben, gehen wir dem Thema Empathie nach. In unserer selbstorganisierten Community ist es essentiell zu wissen, wie es einander geht. Leute bleiben mit ihren Nöten sonst unbemerkt oder brennen in ihrem Engagement aus. Um einander besser zu unterstützen und auch als Community gesund zu bleiben, testen wir aktuell sogenannte «Balance-Gespräche». Darin sprechen wir in kleinen Gruppen miteinander, wie wir unser Engagement erleben, was wir daraus gewinnen und wie es uns dabei geht. Es erlaubt uns, über Gefühle und Wahrnehmungen auszutauschen, die sonst vermutlich unausgesprochen geblieben wären. Vielleicht wäre diese Methode sogar nützlich für Firmen. Ich werde es jedenfalls im Hinterkopf behalten.
Erfolgreiche Partner:innen
«Der Erfolg von Kund:innen und Partner:innen ist mein Antrieb. Ich setze meine Expertise, Methoden und Prozesse dafür ein, ihre Probleme zu lösen und ihre Ziele zu erreichen.» – Haltung Nr. 7
Gespannt frage ich jeweils meine Kund:innen beim Kaffee, wie denn Erfolg für sie aussähe. Selten höre ich dabei ausschließlich monetäre Aspekte. Oft äußern sie den Wunsch, mit ihrem Produkt den Markt zu erobern oder sich als Unternehmen zu behaupten. Ich mag die Leidenschaft, die sich in diesen Gesprächen offenbart. In der Tradition meines Jahresberichts möchte ich nun doch noch über Zahlen sprechen. Wie viel konnte ich dieses Jahr erwirtschaften? Mein Umsatz beträgt knapp CHF 130’000. Ich bin mit dem Resultat zufrieden. Es ist weniger als im letzten Jahr, was auch damit zu tun hat, dass ich mich vermehrt in Community-Projekte wie Events, Aufbauarbeiten von Projektinitiativen oder meinem Buchprojekt investiert habe.
Zahlen & Nummern
- 1’625 Stunden Arbeit geleistet
- 912 Kaffees getrunken (Schätzung)
- 110 Seiten meines Buches überarbeitet
- 45% verrechenbare Zeit
- 25 Rechnungen gestellt
- 13 Unternehmen oder Institutionen begleitet
- 12 Bücher gelesen
- 11 Gerichte in der Kochgruppe gekocht
- 7 Brownbags durchgeführt
- 4 Aufträge abgelehnt
- 3 Aufträge nicht erhalten
- 1 Mal eine rote Ampel überquert (vielleicht waren es auch eine mehr)
Ausblick ins neue Jahr
Im Gespräch mit einer Kundin haben wir mal über Sinn in der Arbeit gesprochen – in Neudeutsch «Purpose». Sie hat mich dann gefragt, ob es wirklich der Sinn sei, den wir suchen oder doch die Lebendigkeit. Das ist mir hängen geblieben. Nicht jeder Teil meiner Arbeit ergibt einen tieferen Sinn. Aber was mir dabei wichtig ist, dass darin eine Lebendigkeit steckt – in der Zusammenarbeit, in der Atmosphäre, im Resultat.
Im neuen Jahr stehen schon spannende Projekte und Ideen an, die ich dir nicht vorenthalten möchte. Mit UserResearch studieren wir an einem Bildungsangebot herum, um Organisationen in Kundenzentrierung und Customer Research zu trainieren. Wie es der Zufall will, hat uns auch schon eine Uni angefragt. Im Effinger arbeiten wir weiter an Unternehmensformen nach der Idee des Verantwortungseigentums. Darin suchen wir auch nach Ansätzen, wie Pionierarbeit mitgetragen werden kann, um Menschen mit Ideen zu unterstützen. Weiter werden meine Kolleg:innen und ich eine zweite Ausgabe des «Salon für Zukunftswirtschaft» in Angriff nehmen. Mit Urbane Reformer:innen bahnen sich spannende Projekte an. Mein Buch wird hoffentlich die Druckplatten küssen. Auch für das neue Jahr nehme ich mir vor, wieder weniger und zugleich mehr zu machen. Ich freue mich auf all die Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten werde. Ich schließe mit einem Zitat meines Sohnes (4j), der mir immer wieder mit philosophischen Weisheiten den Alltag versüßt: «I möcht nöime häre, woni no nie gsi bi.»
Auf zu neuen Wegen,
dein Herr Bürli