Auftrag
UX Research für Emmentaler Switzerland
Interview mit
Annemarie Boos, Verantwortliche Marketing & Kommunikation Markt Schweiz
UX Research
Fabienne Stoll & Manuel Bürli
Beim Relaunch der Website hat sich Emmentaler Switzerland entschieden, einen konsumentenzentrierten Weg zu gehen. Zusammen mit meiner Kollegin Fabienne Stoll haben wir die Traditionsmarke in diesem Prozess begleitet. Im Interview sprechen wir mit Annemarie Boos, Projektleiterin bei Emmentaler Switzerland, über Marktforschung, guten Käse und wie sie Usability Tests erlebte.
Dass Emmentaler Löcher hat, weiss jedes Kind. Was weniger bekannt ist: Ihr seid eine Sortenorganisation. Was ist das genau?
Das hat mit der Geschichte im Schweizer Käsemarkt zu tun. Als die Käseunion im Jahr 1999 aufgehoben wurde, wurden die Sortenorganisationen gegründet. Bei jeder Käsesorte, wie z. B. beim Emmentaler, haben sich lokale Dorfkäser, Milchbauern und Käsehändler zusammengetan. Wir von Emmentaler Switzerland kümmern uns um die Vermarktung und den Schutz unserer Marke. Unsere Aufgabe ist es, die traditionelle Schweizer Käsespezialität Emmentaler AOP weltweit im Premiumsegment zu positionieren und sie konsumentenorientiert zu vermarkten.
Du bist die Projektleiterin für den neuen Webauftritt von Emmentaler. Was waren zu Beginn deine Herausforderungen?
Ich habe das Projekt von einer Arbeitskollegin übernommen, die in ihren Mutterschaftsurlaub ging. Das Konzept war bereits erarbeitet und ich hätte nur noch das okay für die Umsetzung geben können. Da ich bei Emmentaler Switzerland neu angefangen hatte, wusste ich noch nicht viel über unsere Konsument:innen. Ich konnte das Konzept zu wenig beurteilen. Ein «alter Hase» in unserer Organisation hätte vielleicht durchgewunken. Mein Unwissen hat mich jedoch dazu bewegt, zu erkunden, was unsere Konsument:innen wollen. Es war der Mut zur Lücke und der direkte Weg zu unseren Konsument:innen.
Wie bist du in diesem Zusammenhang auf User Experience gestossen?
Von einer befreundeten Organisation bekam ich Einblick, wie diese einen User Experience Prozess durchlaufen hatte. Die Organisation hatte ihre Website mit ihrer Zielgruppe getestet – ich fand das sehr sinnvoll und cool. So bin ich auf User Experience gestossen. Ich bin überzeugt: Die Personen, die unser Produkt essen oder unsere Website besuchen, sind wichtiger, als meine Sicht als Projektverantwortliche. Im Privaten bin auch ich in der Rolle der Konsumentin und möchte dort abgeholt werden. Ich habe zum Beispiel ein MacBook, weil ich leicht und intuitiv mit dem Computer arbeiten möchte. Den Konsument:innen sollten wir Dinge servieren, bei der sie der Meinung sind: Ja genau, das brauche ich! Jedenfalls habe ich dann den Kontakt zu euch, Fabienne und Manuel, erhalten. So lernten wir uns kennen.
Als wir uns das erste Mal über User Experience und den Prozess ausgetauscht hatten, was waren deine Gedanken?
Ich dachte: Genau das brauchen wir. Vor allem auch, weil der Ansatz von UX so einfach zugänglich ist. Nicht nur mir als Marketingfachfrau, sondern auch allen, die für unsere Organisation arbeiten. Egal, ob Präsident, Mitarbeitende oder externe Agentur – mir gefiel der Ansatz, alle Stakeholder abzuholen, egal wo sie gerade stehen. Mit der Einfachheit – so wie ihr beide eben arbeitet. Auf eine Frage heruntergebrochen: Was heisst Konsumentenorientierung? Anhand von konkreten Beispielen habt ihr uns das näher gebracht und mit der Website verknüpft.
Im Gespräch haben wir erfahren, dass ihr schon viel Marktforschung betrieben habt. Wo sahst du den Mehrwert in UX Research?
Die Erkenntnisse aus der Marktforschung waren zu generell für meinen Geschmack. Sie zeigten, wo unsere Marke Emmentaler AOP steht. Für die Website gaben die Erkenntnisse aber zu wenig konkrete Anhaltspunkte und waren zu wenig griffig. Und was mir auffiel – es packte auch die Stakeholder nicht wirklich.
Was mir an UX Research extrem gut gefällt: Es geht um Menschen, die ganz konkrete Aussagen machen. Das beeindruckt jede:n. Wenn wir als Organisation in Kontakt treten mit Konsument:innen, dann können wir dem nicht mehr ausweichen. Ein Paper oder eine Studie kann man weglegen und vergessen. Wenn wir die Aussagen unserer Konsument:innen jedoch selber hören oder sehen, dann wird es zu einer eindrücklichen Erfahrung.
Wie konntest du deine Organisation überzeugen, auf die Karte «UX Research» zu setzen?
In unserer Strategie ist neben Volumen und Umsatz auch Konsumentenorientierung ein wichtiger Pfeiler. Mit diesem Thema hatten wir uns aber bisher wenig befasst. Darum bin ich mit unserem Strategiepapier zu meinem Chef und habe gesagt: Wenn wir uns Konsumentenorientierung auf die Fahne schreiben, dann sollten wir das gleich auch bei unserem Website-Projekt umsetzen.
Und so starteten wir die User Interviews und Usability Testings. Bei den Sessions wart ihr live dabei. Wie lief so ein Testing-Tag ab und wie hast du das erlebt?
Zum Start am Morgen erhielten wir eine sehr gute Einführung, wie die Interviews ablaufen werden. Viele von uns waren zum ersten Mal an einem User Interview dabei. Es ging darum: Auf was muss ich achten? Wie höre ich zu? Wie notiere ich? Das fand ich sehr wichtig, damit alle vom Gleichen ausgingen.
Dann starteten die Einzel-Interviews mit den fünf Testpersonen. Diese wurden in einem zweiten Raum durchgeführt und per Screen übertragen. Von unseren Testpersonen eins zu eins zu erfahren, wie sie auf unser Web-Konzept reagierten, welche Gesichtszüge und Gesten sie machten, was sie anzog, wo sie welche Antworten gaben und zu merken: Huch, die reagieren ja gar nicht! Oder beim Scrollen, dass es da gar nicht weiter geht. Das alles so physisch zu sehen, war eine ganzheitliche Erfahrung. Aber das sage ich natürlich, weil ich (nebst meiner Funktion bei Emmentaler), auch Achtsamkeitslehrerin bin (lacht).
Etwas herausfordernd war, alle fünf Testpersonen am gleichen Tag nacheinander mitzuverfolgen. Es war gut, dass wir zwischendurch Pausen machten und kurz das Wichtigste zusammenfassten. Wertvoll waren für mich die verschiedenen Perspektiven: Zum einen, die Testpersonen zu hören. Zum anderen auch in der Gruppe auszutauschen und zu erfahren, wer die Reaktionen der Testpersonen wie deutet. Wir lernten viel von- und miteinander.
Am Folgetag fand ein Synthese-Workshop statt, an dem wir die Interviews nochmals durchgegangen sind und Erkenntnisse gesammelt haben. Ihr, Fabienne und Manuel, habt uns die vielen Informationen zusammengefasst und geclustert. Das hat mir sehr geholfen, um den Überblick zu gewinnen. So konnten wir daraus Massnahmen ableiten. Interessanterweise gingen diese weit über die Website hinaus.
Was habt ihr über eure User gelernt?
Wenn wir unsere Konsument:innen nur mit soziodemographische Kriterien betrachten, lernen wir nicht viel. Das war mir zwar bewusst, doch bei den Interviews wurde das nochmals offensichtlich. Das Alter zum Beispiel sagt wenig aus, ob eine Person online-affin ist.
Viel wichtiger sind die psychologischen Kriterien und das Verhalten: Geschmack & Genuss, welche Rolle die Nachhaltigkeit und das Tierwohl spielen, was unsere Website auslöst und was einen echten Mehrwert rund um unser Produkt schafft… mehr solche Aspekte.
Wir haben beispielsweise gelernt, dass Emmentaler als industriell hergestellter Käse wahrgenommen wird. Das ist uns richtig eingefahren. Denn Emmentaler AOP wird in unzähligen lokalen Dorfkäsereien in der Schweiz herstellt. Als die Testpersonen das erfuhren, waren sie positiv überrascht. Eine Chance für die Kommunikation.
Was war die Wirkung für das Projekt und darüber hinaus? Was hat sich bei euch verändert?
Es hat unser Interesse geweckt: Wer ist das eigentlich, der unser Emmentaler AOP isst? Die am User Testing beteiligten Mitarbeitenden haben ihre Perspektive geändert. Gemeinsam wollen wir unsere Innensicht als Produzenten, Milchbauern und Käser weniger gewichten und den Fokus noch stärker auf unsere Konsument:innen setzen. Spannend war auch die Erkenntnis: Genuss als Thema ist viel wichtiger geworden. Uns ist nun klarer, auf was unsere Konsument:innen wert legen.
Was jetzt folgt, ist die konkrete Umsetzung der Massnahmen. Das ist ein längerer Prozess. Wir können nicht einfach von heute auf morgen den Schalter umkippen. Wir haben bereits eine Vorstellung davon, gleichzeitig entspricht die Umsetzung in den Einzelteilen – Social Media, Webseite – intern einer Revolution.
Welche Tipps gibst du als Projektleiter:innen anderen Organisationen mit auf den Weg?
Der Prozess mit UX ist ein «must», wenn man in der heutigen Zeit auf dem Markt bestehen will. Wir leben in gesättigten Märkten und die Differenzierung geht nicht nur über eine Marke, sondern über Konsumentenorientierung. Nur so kann man sich noch positionieren, respektive differenzieren.